Olga unterwegs: Im Interview mit Knut Krüger

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Der Kinderbuchautor Knut Krüger spricht über seine glückliche Kindheit auf Sylt, über das Privileg, sich schreibend in einen Zehnjährigen verwandeln zu können, und über das Zwergmammut Norbert, das die minoische Geschichte umschreibt.

Jeder von uns verfügt doch über so eine Schatzkammer von Erinnerungen, und es lohnt sich, diese zu pflegen.


Olga Tsitiridou (dtv): Knut, schließ jetzt bitte die Augen. Du bist sechs Jahre alt und es ist ein sonnendurchfluteter Tag im August. Welche Bilder entstehen da in Deinem Kopf, an was erinnerst Du Dich, wo befindest Du Dich gerade?

Knut Krüger: Seltsamerweise muss ich gar nicht lange nachdenken, sondern sehe mich sofort in den Dünen auf Sylt stehen. Mein Blick geht über den Strand und das blaugraue Meer, und ich brauche nur den Kopf zu drehen, um auf der anderen Seite der Dünen das Haus meiner Großeltern zu sehen, hinter dem die Schafe grasen. Die Weite der Landschaft ist schön und ich fühle mich komplett zu Hause in diesem Moment. Es ist eine Mischung aus Freiheit und Geborgenheit. Fällt Dir eine Landschaft Deiner Kindheit ein, Olga, die Dir ein ähnliches Gefühl vermittelt hat?

Die Landschaft ist bei mir eine Gasse in meiner Heimatstadt in Griechenland. Die Häuserreihen werfen Schatten, doch darüber sehe ich einen fantastischen wolkenfreien Himmel. Es ist warm. Ich gehe die Gasse entlang und stoße direkt auf das Meer. Ich weiß, dass zuhause meine Mutter auf mich wartet. Deshalb bin ich frei von Angst. Ist es nicht unglaublich, dass wir diese Bilder ein Leben lang vor Augen haben? Unabhängig davon, an welchem Ort wir später stranden, in München oder anderswo? Könnte das etwas mit Sehnsucht zu tun haben?

Das glaube ich ganz bestimmt. Für alle, deren Kindheit überwiegend glücklich verlaufen ist, wird sie wohl immer ein Ort der Sehnsucht bleiben. Ich selbst empfinde meine Kindheit nach wie vor als größte Kraftquelle in meinem Leben, wobei es gar nicht so sehr darum geht, woran ich mich konkret erinnere. Es ist eher das Grundgefühl, in dieser Welt gut aufgehoben zu sein, das sich bis heute bewahrt hat. Aber die kleinen schönen Erinnerungen sind natürlich auch wichtig: der Duft und Geschmack von Lieblingsgerichten; Situationen, die mich zum Lachen gebracht haben; bestimmte Stimmungen und Empfindungen, die bis in die früheste Kindheit zurückreichen … Jeder von uns verfügt doch über so eine Schatzkammer von Erinnerungen, und es lohnt sich, diese zu pflegen.

Ist das einer der Gründe, warum du Kinderbuchautor geworden bist? Und betrittst Du beim Schreiben Deiner Bücher immer wieder die »Schatzkammer« Deiner Kindheit?

Ja, das kann man so sagen, wobei Rumpelkammer es vielleicht eher trifft. Da liegt ja auch viel altes, staubiges Zeug rum. Vor allem versuche ich beim Schreiben die Emotionen anzuzapfen, die ich als Kind hatte. Das lässt sich ganz gut trainieren, und heute betrachte ich es als Privileg, mich schreibend in einen Zehnjährigen zurück verwandeln zu können. Das Leben bekommt dadurch eine neue Kontinuität, und man entdeckt auch, wie viel Kind noch in einem steckt. Als ich anfing, Kinderbücher zu schreiben, hatte ich von diesen inneren Vorgängen allerdings noch keine Ahnung.

Das ist sehr interessant was Du sagst. Sollten Erwachsene nicht ab und an ein schönes Kinderbuch lesen, um auf genau diese »inneren Vorgänge« zu stoßen? Das könnte so eine Art Erlösung sein für viele. Meinst Du nicht?

Wenn das Lesen von Kinderbüchern Erwachsenen hilft, Verbindung zur eigenen Kindheit aufzunehmen, wäre das ein sehr schöner Nebeneffekt, ja!

Wie kommst Du denn auf die außergewöhnlichen Tiere in Deinen Büchern, nicht Hunde und Katzen – die ja auch lieb sind, keine Frage – sind die Protagonisten, sondern ein Faultier, ein Lama, ein Mammut … Ich zum Beispiel bin ein großer Fan von Norbert, dem Zwergmammut. Ok, Norbert verputzt Schuhe zum Frühstück, aber er ist mutig und pfiffig. Und – das kommt noch erschwerend hinzu – unglaublich hübsch. Wie bist Du auf ihn gekommen und was hat es mit seiner Frisur auf sich?

Ich wollte dem Bobtail, mit dem ich aufgewachsen bin, nachträglich ein Denkmal setzen. Der sah ja aus wie ein kleines Mammut, freilich ohne Stoßzähne. Inwieweit man da von Frisur reden kann, ist eine interessante Frage, aber Nobert wäre entzückt, dass du ihn hübsch findest. Wenn wir unseren Familienbobtail früher gebürstet haben, dann ist er hinterher eine Stunde durchs Haus stolziert und hat sich ausgiebig bewundern lassen – das würde auch zu Norbert passen. Dass ich dem Zwergmammut später ein Faultier und ein Lama zur Seite gestellt habe, hat sich mit einer gewissen Kinderbuchlogik ergeben – Hund und Katze wären mit Verlaub doch etwas langweilig gewesen. Wichtig ist, dass die Tiere für die drei Hauptfiguren meiner Romane eine ähnliche Funktion haben. Man könnte auch sagen, dass sie dort einspringen und Trost spenden, wo die Eltern ›versagen‹. Henry hat nervige Helikoptereltern, Zoe ist einsam und sehnt sich nach ihrem Vater, und Finn ist nicht einsam, aber unbetreut. Mammut, Lama und Faultier füllen diese Leerstellen aus, wobei die Kinder zugleich in die Rolle von Eltern schlüpfen und Verantwortung für ihre Tiere übernehmen – das hilft ihnen, sich zu entwickeln.

Das finde ich toll! Tiere und Kinder als bessere Eltern. Was treibt der Norbert eigentlich so in Deinem nächsten Buch? Norberts Outfit ist übrigens entzückend. ›Bestdressed Mammut‹, man kann es nicht anders sagen.

Das Kompliment gebe ich gern weiter an meine Illustratorin Eva Schöffmann-Davidov. In meinem nächsten Buch sucht Norbert mit seinem Freund Henry nach seinen griechischen Wurzeln. Norbert ist ja ein Kreta-Zwergmammut, also fliegen die beiden in Begleitung von Henrys cooler Oma nach Kreta. Sie haben allerdings nicht damit gerechnet, dass die ganze Insel total aus dem Häuschen ist – immerhin betritt zum ersten Mal seit 750.000 Jahren ein kretisches Zwergmammut heimischen Boden. Und der abgedankte König Konstantin betrachtet Norbert auch noch als Gastgeschenk und will ihn nicht wieder hergeben. In alten Königspalast von Knossos kommen die beiden dem Rätsel von Norberts wahrer Herkunft auf die Spur – die minoische Geschichte müsste nach diesem Band ein wenig umgeschrieben werden.

Ein Mammut, das die minoische Geschichte umschreibt. Das hat es noch nie gegeben. Das gefällt mir, Knut. Sehe ich das richtig? Deine kleinen Leserinnen und Leser sollen auch etwas lernen beim Lesen Deiner Bücher? Gott sein Dank ist das kein trockener Schulstoff.

Ach, vor allem will ich meinen kleinen Leserinnen und Lesern eine gute Zeit bescheren. Sie sollen möglichst oft lachen beim Lesen und gern auch an den Nägeln knabbern, wenn’s spannend wird. Schön wär’s, wenn sie sich selbst erkennen, ohne es zu merken. Aber da das Buch schon mal auf Kreta spielt, konnte ich um die griechische Mythologie gar keinen Bogen machen – zumal die ja nur so strotzt von fantasievollen und fantastischen Geschichten.

Es ist übrigens toll, dass Henrys Oma bei Dir eine coole Oma ist. Dadurch hast Du Millionen von Omas ihre Würde zurückgegeben.

Würde! Ich danke Dir für dieses schöne Wort, Olga! ›Ein Buch, das Millionen Omas ihre Würde zurückgibt!‹ – das wäre auch ein toller Rückseitentext. Die coole Oma ist ja auch so ein Kinderbuchklischee, das schon wieder spießige Seiten hat. Bei Henrys schottischer Granny Scarlett habe ich mich bemüht, nicht in diese Falle zu tappen. Die hat einen schrägen Humor, ist Individualistin durch und durch und von großer empathischer Klugheit.

Was bedeutet Schreiben für Dich?

Schreiben bedeutet, mich meiner Selbst zu vergewissern. Wenn ich vom Schreibtisch aufstehe, möchte ich zumindest drei Gramm klüger und sensibler sein als zuvor, das wäre der Mindestanspruch. Das große Glück stellt sich ein, wenn der Rückenschmerz ausbleibt.

Das Interview führte Olga Tsitiridou.