»Ideen fliegen jenen mit wachen Augen zu.«

EIN INTERVIEW MIT JUSSI ADLER-OLSEN

Wovon lassen Sie sich inspirieren?

Ideen fliegen jenen mit wachen Augen zu. Zeitungen, andere Medien, die Menschen, die einen umgeben – Ideen sind überall. Und wenn es nur merkwürdige Verhaltensmuster oder falsche Entscheidungen sind: Aus allem kann man Bausteine für eine tolle Geschichte machen. Wenn die Geschichte Konturen annimmt, sollte sich der Autor fragen: Warum will ich dieses Buch schreiben? Die Haupthandlung ist stärker, wenn man die Frage nach dem »Warum« beantworten kann.

Wie recherchieren Sie?

Eine gute Recherche ist für mich sehr wichtig. Wenn ich ein Thema nicht richtig durchdrungen habe und etwas falsch ist, dann zerstört das die Glaubwürdigkeit des Buches. Wenn ich beginne zu schreiben, recherchiere ich soviel wie möglich. Aber es gibt immer Momente während des Schreibprozesses, in denen ich zurückgehen muss, um absolut sicherzugehen, dass das, was ich schreibe, korrekt ist. Während ich ›Das Washington-Dekret‹ geschrieben habe, habe ich zwei Jahre lang recherchiert. Das Buch spielt im Ausland in einer Umgebung voller Geheimnisse und beinhaltet Experten auf verschiedensten Gebieten. Bei so einer kontroversen Geschichte muss einfach alles stimmen. Solche Romane erfordern sehr viel Zeit, weil man nicht so einfach Zugang zu den erforderlichen Informationen hat – anders als wenn das Buch in Dänemark spielt. Bei der Reihe rund um das Sonderdezernat Q dagegen, die ich in Dänemark schreiben kann, deren Schauplätze leicht erreichbar sind und die unter vertrauten Bedingungen spielen, brauche ich ungefähr zwei bis vier Monate Zeit zum Recherchieren.

Wie haben Sie die Figur Carl Mørck entwickelt?

Carl Mørck enthält Elemente von mir selbst – mein vollständiger Name lautet Carl Valdemar Henry Jussi Adler-Olsen. Beispielsweise sind wir beide im tiefsten Inneren sehr faul. Für mich akzeptiere ich das nicht, während Carl unbekümmert seine Füße auf den Schreibtisch legt und ein Nickerchen macht. Carl Mørck ist ein sehr komplexer Charakter, der ein gutes Stück Ironie, Satire und Selbstironie enthält, kombiniert mit einer Portion Humor. Auf diese Eigenschaften, zusammen mit einer großen Professionalität, Polizeikompetenz und einem komplizierten Privatleben, sollte er jedoch nicht reduziert werden. Er hat auch Eigenschaften eines Patienten meines Vaters geerbt, der tatsächlich Mørk hieß (ohne »c«). Ich habe diesen Herrn Mørk als Kind kennengelernt und sehr gemocht. Mein Vater erzählte mir, dass er seine Frau getötet hatte. So lernte ich, dass in allen von uns gute und böse Eigenschaften stecken. Meine Erinnerung an diesen Patienten, der mit dem Guten und Bösen gekämpft hat, hat einen großen Teil meiner Hauptfigur geformt – den Detektiv Carl. Daher hat er am Ende den Namen Carl Mørck bekommen.

Das Sonderdezernat Q erstreckt sich über zehn Teile. Wie ist es, so viele Jahre lang an einer zusammenhängenden Reihe zu schreiben?
Gleichzeitig schwierig und fantastisch. Schwierig, weil ich mir einen speziellen Anfang überlegt habe und eine Reihe von Figuren, fantastisch aus denselben Gründen.

Wie definieren Sie das Böse, von dem Sie in Ihren Büchern erzählen?

Wir alle kennen die Idee vom Bösen. Zuerst als eine absichtliche Handlung, zu der alle Menschen unter den entsprechenden (oder eher den falschen) Umständen in einer bestimmten Situation fähig sind, die am Ende meist übertriebene psychische oder physische Gewalt hervorbringt. Der Politiker, der einen Krieg beginnt oder laufen lässt. Die Person, die im Fokus des öffentlichen Interesses steht und sich rassistisch äußert. Natürlich gibt es, was die Art des Bösen betrifft, Unterschiede: ob du mit bloßen Händen jemanden köpfst oder im Namen der Redefreiheit jemanden unter Druck setzt und dazu bringst, sich als zukünftiges, potentielles Opfer bloßzustellen. Das Ergebnis ist jedoch meistens dasselbe. Niemand kann das Böse präzise definieren und niemand weiß, ob wir damit geboren wurden oder nicht. Deshalb finde ich es so faszinierend und seine Spielarten sind eine ewige Inspirationsquelle in der Literatur.

Was gefällt Ihnen am Autorenleben am besten?

Ich liebe die Freiheit daran. Ich kann arbeiten, wo ich möchte und kann mir eine Auszeit nehmen, wann ich möchte. So ungefähr jedenfalls. Der Erfolg, den ich erreicht habe, bedeutet, dass ich nicht die Freiheit der Anfangszeit mehr habe, weil ich für viele Menschen erreichbar sein muss. Das ist ein weiterer Punkt, der mir am Autorenleben so gefällt: Autor sein bedeutet, von vielen Menschen gelesen zu werden. Das ist für mich das größte Kompliment, das ein Schriftsteller bekommen kann.
Was ist die größte Herausforderung daran, ein Schriftsteller zu sein?
Ich freue mich immer sehr darüber, wie ein neues Buch angenommen wird. Weniger von der Presse, sondern mehr von den Lesern selbst. Mögen sie, was ich schreibe? Oder lassen sie mich durchfallen? Ich schreibe in erster Linie, um gelesen zu werden, also bedeutet es mir sehr viel, wenn meine treuen Leser meine neuen Bücher mögen. Es ist immer eine Herausforderung, mein Bedürfnis zu stillen, mich als Schriftsteller weiterzuentwickeln und weiterhin die Unterstützung meiner Leser zu genießen.

Welche Schriftsteller inspirieren Sie?

John Steinbeck, Charles Dickens, Victor Hugo sowie außergewöhnliche Schriftsteller wie Peter Bichsel, Jerzy Kosinski und den skurrilen Norweger Erlend Loe. Originelle Autoren mit einer originellen Sprache und außergewöhnlichen Geschichten, die die Tränenkanäle und die Lachmuskeln herausfordern.

Gibt es bestimmte Themen, die für Sie in Ihren Thrillern besonders wichtig sind?

Ich verabscheue den Missbrauch von Macht und Ungerechtigkeit. In jedem meiner Bücher erzähle ich eine Version davon, wie Macht missbraucht wird und zeige Wege auf, wie man das stoppen kann. Ich bin davon überzeugt, dass meine Leser nicht nur unterhalten werden möchten – das wollen sie natürlich auch –, sondern von der Lektüre auch etwas lernen und mitnehmen möchten, zum Nachdenken angeregt werden wollen. Ein Grund, wieso ich mich für das Genre Thriller entschieden habe, ist, dass ich darin über jedes Thema schreiben kann. Das Böse ist ein nützliches Werkzeug und wenn man den Kontrast zwischen dem Guten und Bösen beschreibt, kann man eine Botschaft senden.