Olga unterwegs: Im Interview mit Krimiautor Frank Goldammer

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Diesmal hat Olga mit unserem Krimiautor Frank Goldammer über seine Besessenheit vom Schreiben gesprochen, seine melancholischen Touren durch das nächtliche Dresden und natürlich über seinen Protagonisten Max Heller.

In meinem Kopf geht ständig etwas vor sich. Neue Ideen, neue Szenarien…


Autor Frank Goldammer begann mit Anfang 20 zu schreiben und verlegte seine ersten Romane im Eigenverlag. Mit ›Der Angstmann‹, Band 1 der Krimiserie mit Max Heller, gelangte er sofort auf die Bestsellerlisten.

Olga Tsitiridou (dtv): Frank, ich würde gerne über ›Besessenheit‹ mit Dir sprechen. Einverstanden? Und das Thema hat nicht nur damit zu tun, dass Du ein sehr erfolgreicher Krimiautor bist.

Frank Goldammer: Natürlich, sehr gerne. Ich bin sowieso fasziniert von diesem Thema. Ich staune immer über Menschen, die von irgendetwas besessen sind. Das meine ich im positiven (Sportler, Künstler), wie auch im negativen Sinne (Sammler, Machthaber, Mörder). Der menschliche Geist bietet ja eine Unzahl von Möglichkeiten dafür. Erstaunlich ist auch der Fakt, dass Besessenheit sich scheinbar nie wirklich positiv auswirkt, selbst wenn es eine ›gute‹ Besessenheit ist, wenn zum Beispiel jemand exzessiv Sport betreibt oder das Geigenspiel bis zur Perfektion erlernt oder eben Romane schreibt.

Ich glaube, dass jeder Besessene in einer Art Teufelskreis steckt, weil er entweder nie das erreicht, was er glaubt, erreichen zu müssen, oder weil er irgendwann einen Punkt erreicht, an dem es keine Steigerung mehr gibt und tragisch abstürzt. Beispiele dafür, wie die Besessenheit jemanden in den Wahnsinn gestürzt hat, gäbe es ja zu genüge.

»Besessenheit ist der Motor, Verbissenheit die Bremse«, hat Rudolf Nurejew einmal gesagt. Findest Du dich in diesem Zitat wieder? Bist Du denn zum Beispiel vom Schreiben besessen?

Ich denke, ich bin besessen vom Schreiben, ich will und muss jeden Tag schreiben, werde immerzu von neuen Ideen übermannt, steigere mein Schreibpensum kontinuierlich über die Jahre und glaube trotzdem immer, dass es nicht genug ist. Ich weiß auch sehr genau, dass ich damit nur versuche, verschiedene Aspekte meines Lebens und verschiedene Charakterschwächen zu kompensieren. Ich war lange Zeit recht ziellos, fast depressiv, wusste nicht wohin mit mir im Leben. Das weiß ich heute immer noch nicht, aber als ich das Schreiben für mich entdeckt hatte, wusste ich zumindest, was ich mit meiner Zeit halbwegs Vernünftiges anstellen konnte.

Ich bin auch von dem Gedanken besessen, etwas zu erreichen und jemand zu sein und weiß doch gleichzeitig, dass ich niemals zufrieden sein werde mit allem, was ich erreiche. Verbissenheit und Besessenheit unterscheiden sich für mich kaum, ich glaube, Letzteres ist nur ein Anzeichen oder eine Auswirkung von Ersterem. Ich arbeite oft verbissen, da ich mir ein tägliches Schreibpensum gesetzt habe, das es zu erfüllen gilt, dabei spielt es keine Rolle, wie viel ich schreibe. Wobei das Wort Verbissenheit für mich nicht so negativ besetzt ist. Sich in etwas zu verbeißen kann auch eine gute Eigenschaft sein, zumindest im Wertemaßstab eines Besessenen. Nicht loszulassen, wenn es mal schwerer wird im Text, oder in Momenten, wenn einen die Zweifel übermannen, das kann sehr hilfreich sein.

Ich denke, dass es schlimmere Dinge gibt als besessen zu sein vom Schreiben, vor allem wenn dabei jemand wie Kriminalinspektor Max Heller zum Leben erweckt wird. Wie darf man sich das vorstellen bei Dir? Wohnt Max Heller inzwischen in Deinem Kopf und am Abend erlöst Du ihn, indem Du ihm einen neuen Fall in die Hände gibst?

Ich frage mich oft, wie das geht. Es ist auch nicht ganz so einfach mit dem Max Heller. In meinem Kopf geht ständig etwas vor sich. Neue Ideen, neue Szenarien, manchmal auch die Entdeckung eines ganz besonderen Gefühls und der Wunsch, in der Lage zu sein, es so zu Papier bringen zu können, dass die Leser es nachempfinden können. Dabei spielt Max Heller keine spezielle Rolle, er lebt sozusagen im Hintergrund sein Leben weiter. Er ist auf jeden Fall präsent, hat einen festen Platz in meinem Kopf, ich denke an ihn wie an eine echte Person, habe sogar seine Vergangenheit und seine Zukunft und auch sein gesamtes Umfeld im Blick. Erst wenn ich dann konkret über einen neuen Heller-Fall nachdenken muss, rückt er wieder in den Fokus, wie ein Freund, den man längere Zeit nicht gesehen hat. Ich muss dann gar nicht mehr nachdenken, ob er dies oder das sagen würde, oder wie die Menschen in seinem Umfeld reagieren, das ist alles gespeichert und muss nur abgerufen werden. Erlöst wird er dann aber auf keinen Fall, der arme Kerl, bekommt es ja immer heftig um die Ohren, manchmal tut er mir fast leid.

Ich habe jedoch auch an mir festgestellt, dass ich den Schreibprozess ganz leicht unterbrechen kann, um zum Beispiel eine andere dringende Arbeit zu erledigen. Danach kann ich, fast ganz ohne Verzögerung, gleich wieder an entsprechender Stelle fortfahren. Grundsätzlich ist es so, dass sich meine Gedanken ständig um meine Romane drehen, dabei kann es passieren, dass ich über den neuesten Heller nachdenke oder über einen Roman, den ich gern schreiben möchte, oder ich denke an ein altes Buch oder male mir aus, wie es wäre, dieses oder jenes als Film zu sehen. Man könnte fast sagen, mein erster und auch mein letzter Gedanke am Tag gilt meinen Romanen. Ganz schön beknackt, oder?

Ich finde das gar nicht beknackt, dass Deine Gedanken ständig um Deine Romane kreisen. Viele Fans von Frank Goldammer und Max Heller gehen sogar davon aus! Darf ich Dich etwas Seltsames fragen? Bist Du schon mal nachts in Dresden auf Spurensuche gegangen? Ich meine, wenn alle schlafen? Und glaubst Du, dass es im Leben eines ›besessenen‹ Autors auch mal Momente geben kann, in denen er Realität und Wirklichkeit verwechselt?

Immer her mit den seltsamen Fragen! Spurensuche würde ich das nicht nennen, aber wenn ich allein bin, was wirklich sehr selten ist wegen der Kinder, dann setze ich mich manchmal mitten in der Nacht ins Auto und fahre herum. Ich nehme ganz gezielt ausgewählte CDs mit. Ich bin ein ausgesprochener Melancholiker und cruise durch die Stadt, fahre in frühere Wohngegenden von mir, betrachte die Häuser, in denen Freunde gewohnt haben, und denke an vergangene Zeiten, verpasste Gelegenheiten, frage mich, wo all das geblieben ist. Und manchmal gelingt es mir, für wenige Sekunden das Gefühl wahrer Melancholie einzufangen.

In meinem Leben vermischt sich nichts, das ist gar nicht möglich, eher muss ich mir jede Minute im Schreibuniversum erkämpfen. Ich nutze jedoch jede Gelegenheit (stupide Arbeiten, lange Fahrten), um über meinen aktuellen Roman nachzudenken, wie es weitergeht, welchen Kniff ich noch anwenden könnte.

Das hört sich ganz wunderbar an. Ist die Melancholie so eine Art Wunderteppich, auf dem man über allen Dingen schweben kann? Und wie ist das, wenn Du plötzlich einen Einfall hast, einen Gedanken, von dem Du sagst: Der ist es! Was ist das für ein Gefühl? Ein Höhenrausch, ein Glücksrausch?

Ich habe selten solche konkret speziellen Einfälle. Die Erarbeitung einer Idee ist oft ein langwieriger Prozess. Und manchmal löst sich ein Problem in einem Roman mit einem Paukenschlag. Das sind dann richtige Aha-Momente, in denen ich denke: Ja, na klar, ganz logisch. Dann bin ich euphorisch und muss meistens über mich selbst lachen. Man denkt tagelang über etwas nach, überlegt hin und her, kommt nicht weiter und plötzlich: Bämm! Und alles ist plötzlich ganz klar. Gelegentlich habe ich mal eine Idee, von der ich denke, Wahnsinn, das ist irre, um dann entweder festzustellen, dass jemand die Idee schon hatte oder sie nicht zu realisieren ist. Bestenfalls reicht sie dann für eine Kurzgeschichte. Ich habe für alle Fälle auch einen Notizblock und einen Stift am Nachttisch liegen, doch ich habe noch nie etwas notiert. Denn ich vergesse meine Ideen nicht.

Bist Du schon mal mitten in der Nacht aufgewacht und Max Heller stand neben Deinem Bett? Wird ein Krimiautor gelegentlich von seinen eigenen Figuren verfolgt?

Nee, da muss ich dich enttäuschen. Ich habe zwar meine Bücher oft im Kopf, die geschriebenen und ungeschriebenen, aber in meinen Träumen taucht Max nicht auf. Vielleicht habe es auch nur vergessen, denn ich merke mir so gut wie keine meiner Träume. Tagsüber allerdings, wenn ich darüber nachdenke, wie es weitergehen soll in einem Buch, da tauche ich schon sehr tief in das Geschehen ein.

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – Wie verortest Du Dich innerhalb der Zeit?

Im Prinzip lebe ich selten in der Gegenwart, so gut wie nie. Ich erinnere mich oft an die Vergangenheit, mit einer Mischung aus leiser Wehmut und Erleichterung. Wehmütig bin ich vor allem wegen all der Fehler, die ich begangen habe. Doch dann rette ich mich wieder ins blanke Pathos, denn alles, was geschehen ist, hat mich doch hierhergeführt. In Gedanken bin ich auch oft in der Zukunft und denke über mein Leben als Autor nach. Im Grunde hat sich dieses, im Vergleich zu früher, nicht viel verändert. Es sind natürlich Stress, Selbstzweifel und Druck hinzugekommen, aber trotz allem: Es ist ein ›Leiden‹, das ich am Ende doch auch genieße.

Das Interview führte Olga Tsitiridou.