›Aus Liebe zum Spiel‹ – Max-Jacob Ost im Interview
»Wir müssen uns den Fan mit Wunsch nach einem gesellschaftlich positiv wirkenden Fußball als glücklichen Menschen vorstellen.« Max-Jacob Ost spricht im Interview über sein Buch ›Aus Liebe zum Spiel‹, über Uli Hoeneß und die Zukunft des Fußballs. Und über die Sicht Albert Camus' auf die beliebteste Sportart der Welt.
Olga Tsitiridou (dtv): Sie haben ein Buch über 50 Jahre deutschen Fußballs geschrieben, anhand der Biographie von Ulli Hoeneß. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Max-Jacob Ost: Ich hatte nie den Plan, ein Buch zu schreiben. Ich wollte Uli Hoeneß verstehen, der mich mit all seinen Ecken und Kanten schon lange beschäftigt. Erst als ich gemerkt habe, dass man mit ihm wunderbar die Geschichte des deutschen Fußballs nacherzählen kann, reifte auch der Gedanke heran, ein Buch daraus zu machen.
Ihre Recherche dauerte vier Jahre. Hatten Sie am Ende das Gefühl, Uli Hoeneß als Person – zumindest ein Stück weit – umrissen zu haben?
Die öffentliche Person Uli Hoeneß habe ich sicher inzwischen ausreichend in all ihren Facetten beleuchtet. Beim Schreiben des Buches haben außerdem so viele Aspekte ineinandergegriffen, dass ich erstmals das Gefühl hatte: Ja, das ist es.
Wenn man über eine öffentliche Person schreibt, versucht man auch, dem Dilemma aus dem Weg zu gehen, dass man parteiisch wird?
Ich glaube, das hat nichts mit der Entscheidung zu tun, über wen man schreibt, sondern sollte eine journalistische Grundhaltung sein. Niemand ist neutral, aber Ausgewogenheit muss Grundlage von Berichterstattung sein, Meinung als solche gekennzeichnet werden.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass Uli Hoeneß ein Mensch »voller Ambivalenzen« ist. Was ist Ihnen da besonders aufgefallen?
Eine der sichtbarsten Ambivalenzen ist sicher das Auseinanderklaffen von sozialem Engagement, das bei Uli Hoeneß sehr im Vordergrund steht, und der Steuerhinterziehung auf der anderen Seite.
Sein großes soziales Engagement ist ja bekannt. Es wird ihm aber der Vorwurf gemacht, dass er öffentlich darüber spricht. Warum ist das für viele Menschen ein Problem?
Ich kann nicht für andere Menschen sprechen, mir scheint das öffentliche darüber Sprechen aber einen Hinweis darauf zu geben, dass ein Nebeneffekt des sozialen Engagements ist, sich damit zu rühmen. Das macht die Hilfe nicht weniger wirksam oder bedeutungslos, schwächt aber vielleicht für manche die altruistische Grundhaltung dahinter.
Eine der vielen schönen Anekdoten in Ihrem Buch ist: Uli Hoeneß hat als Klassensprecher am Ulmer Schubart-Gymnasium für das Schülermagazin ziemlich erfolgreich Anzeigenkunden akquiriert – am Ende hatte die knappe Schulkasse einen Überschuss! Wie kamen Sie auf solches Hintergrundwissen?
Ich habe unheimlich viel gelesen, sicher einige Tausend Interviews mit ihm. Bei einer Person, die über fünfzig Jahre lang in der Öffentlichkeit stand und alle paar Tage Interviews gegeben hat, kommen da auch viele Anekdoten zusammen. Zwischendurch habe ich mich gefühlt wie jemand, der in der Sahara die Sandkörner nach Größe sortieren will. Aber erkenntnisreich war es und am Ende hat sich all die Arbeit, wie ich finde, gelohnt.
Früher war Fußball der gesellschaftliche Kitt für alle. Inzwischen hat sich der Fußball leider vom normalen Fan in mancherlei Hinsicht entkoppelt, wenn man zum Beispiel an die fremdfinanzierten Shows denkt, an die vielen Millionen, die fließen. Wie steht es um die Zukunft des Fußballs?
Wie unsere Gesellschaft funktioniert der Fußball nach einem kapitalistischen Wachstumsprinzip, dem eine immer größer werdende Ungleichheit genauso gegenübersteht wie die Zerstörung unseres Planeten durch eben genau jenes Wachstum. Und so wie in anderen Gesellschaftsbereichen möchte der Fußball diese Zustandsbeschreibung negieren. Trotzdem wird er noch lange wachsen und nach außen hin gesund erscheinen, denn das Spiel ist toll und beliebt, wir alle haben Spaß an guter Unterhaltung. In seinem Inneren sind aber schon jetzt Probleme zu erkennen, die ihn irgendwann einholen werden. Wenn immer weniger Kinder Fußball spielen oder Fußball nur noch in Ausschnitten konsumieren, schafft sich der Sport ein großes Problem. Und das ist jetzt nur ein Beispiel.
Der FC Bayern schlägt Paris mit Messi und Mbappe im Hin- und Rückspiel der Championsleague. Ist das System Hoeneß nicht doch sympathischer als das Prinzip Emir oder Oligarch?
Puh, ich weiß nicht. Da spielt vermutlich unser eurozentristischer Blick eine Rolle. Aus Sicht neutraler Fußballfans ist es vermutlich der Unterschied zwischen Regen und Traufe: Den Wettbewerb verzerren Sportswashing betreibende Golfstaaten genauso wie der FC Bayern. Sie tun das nur aus einem anderen Grund.
Von Albert Camus ist das Zitat überliefet: »Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball.« Würde er das heute noch sagen?
Aber natürlich! Zum einen, weil Camus den Fußball von innen heraus beschrieben hat, aus der Sicht des Spielers auf dem Feld. Zum anderen, weil der moderne Fußball sich hervorragend eignet, um an seinem Beispiel über große gesellschaftliche Fragen nachzudenken. Und zuletzt, weil auch der Kampf für einen moralischen Fußball höchst existenzialistisch erscheint. Wir müssen uns den Fan mit Wunsch nach einem gesellschaftlich positiv wirkenden Fußball als glücklichen Menschen vorstellen.
Interview: Olga Tsitiridou (dtv), März 2023
Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für das dtv Magazin stellt Olga regelmäßig ihre persönlichen Lese-Highlight aus dem aktuellen Programm vor, lässt aber auch immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt.