Olga liest … ›Die Überlebenden‹ von Alex Schulman
Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns stellt Olga jeden Monat ihr persönliches Lese-Highlight aus unserem aktuellen Programm vor.
»Was hatten sie gedacht, was passiert, wenn sie schließlich an den Ort zurückkehren, dem sie ihr Leben lang zu entkommen versucht haben?« Alex Schulman, Die Überlebenden
Alex Schulman schildert in seinem großartigen, atmosphärisch dichten Roman die Geschichte dreier Brüder – und überrascht mit einer ungewöhnlichen Konstruktion. Sein Roman beginnt mit dem Ende. Benjamin, Pierre und Nils kehren zurück an den Ort ihrer Kindheit, um den letzten Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen: ihre Asche im See zu verstreuen. Hier steht auch das Holzhaus, in dem die Familie viele Sommermonate verbracht hat, eingebettet in eine Landschaft, die, obwohl sie schön und traumverloren erscheint, Schauplatz trauriger Familienereignisse ist.
Benjamin, die Hauptfigur, wird das Buch seiner Kindheit Seite für Seite zurückblättern. Und es ist keine sorglose, heile Welt, die sich da auftut. Das Leichte und das Schwere gehen immer Hand in Hand. Genau diese Ambivalenz macht ›Die Überlebenden‹ so besonders. Die Brüder scheinen sich zwar in einer Art Bullerbü-Welt zu bewegen, aber im Hintergrund spürt man eine subtile Bedrohung, ausgehend von den Eltern. Sie sind mal zugewandt, mal launisch. So erlebt man zum Beispiel die Mutter, wie sie den Kindern aus Klassikern vorliest und ihnen durchs Haar streicht. In solchen Momenten fühlen sich die Brüder ihr nah und »am Ende war es, als bildeten sie einen einzigen Körper.« Und es ist wieder dieselbe Mutter, die Benjamin in den dunklen Keller schickt, um ihn zu bestrafen.
An einer Stelle heißt es »Er lauschte dem Vogelgesang, der plötzlich etwas Seltsames bekam, als zwitscherten die Vögel langsamer, in halbem Tempo. Dann verstummten sie ganz.« Das sind Lesemomente, in denen man das Gefühl hat, dass sich in der Natur die Dramen der Menschen widerspiegeln.
Benjamin ist derjenige unter den Brüdern, der versucht das labile Gleichgewicht innerhalb der Familie aufrecht zu erhalten. Er hat jede Reaktion der Eltern im Blick, um Konflikte heraufziehen zu sehen – und sie möglichst abzuwenden. Tragischerweise fühlt ausgerechnet er sich schuldig daran, dass die Familie endgültig auseinanderbricht nach einem Ereignis, mit dem alle Familienmitglieder anders umgehen und das sie zu verdrängen versuchen. Das ist das zentrale Thema in diesem berührenden und absolut lesenswerten Roman, erzählt in klarer, eleganter Sprache.