Olga unterwegs: Im Interview mit Janine Adomeit
Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Janine Adomeit mit ihrem wunderbaren Roman ›Vom Versuch einen silbernen Aal zu fangen‹ im Interview. Über Chancen und Glück, Erfolg und Scheitern. Und über den Versuch, Figuren ihre Würde zu lassen.
Es ist leicht, über jemanden zu lachen, der wie ein Käfer auf dem Rücken liegt und mit den Beinen zappelt.
Olga Tsitiridou (dtv): Liebe Janine, Du lebst in Flensburg. Ich bin nie dort gewesen und kenne leider nur Fotos aus dem Internet. Eine sehr hübsche Stadt! Wasser, Segelboote, Schäfchenwolken …. Wie kommst Du dorthin und weht in Flensburg immer eine frische Brise?
Janine Adomeit: Ich bin in Köln geboren und im Umland aufgewachsen, habe dann in München gelebt, wo ich auch studiert habe, und bin seit 2018 in Flensburg. Eine kleine oder große Brise hat man hier tatsächlich immer. Daran musste ich mich gewöhnen, ich mag es nicht kalt, aber inzwischen geht’s. Außerdem wollte ich nun mal am Meer leben. Da nimmt man das in Kauf.
Oft werde ich gefragt, warum nicht Berlin, als Autorin muss man doch nach Berlin? Das kann ich leicht beantworten: Ich mag Berlin und bin gerne zu Besuch dort, aber es ist keine ruhige Stadt. Und ich brauche bzw. habe gern meine Ruhe.
dtv feiert dieses Jahr 60-jähriges Jubiläum! Verbindest Du etwas damit, gibt es einen besonderen dtv-Titel in Deinem Bücherregal?
Ich habe einige Bücher von dtv, aber eines ist mir besonders ans Herz gewachsen: 2005 ist eine Gedichtsammlung von Heinrich Heine erschienen, ›Der Tag ist in die Nacht verliebt‹*, herausgegeben von Jan-Christoph Hauschild. Ein ganz kleines, schmales Bändchen. Dieser Gedichtband hat meine Heine-Liebe entfacht. Danach habe ich alles von Heinrich Heine gelesen und im Germanistikstudium jedes Heine-Seminar belegt, das ich kriegen konnte. Das Buch ist inzwischen ein wenig mitgenommen, aber es gehört immer noch zu den Büchern, die ich bei Umzügen als erstes einpacke und in einer Extra-Kiste verstaue.
Kürzlich ist Dein Roman ›Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen‹ erschienen. Du wählst dieses Bild, als Deine Heldin Vera in eine Heilwasserquelle greift, die Strömung spürt und diese mit einem Aal vergleicht. An dieser versiegten und unvermutet wieder an die Oberfläche gedrungenen Heilquelle hängt Veras Hoffnung und die einer ganzen abgewirtschafteten Kurstadt. Steht der Aal, der glitschig ist und leicht wieder entgleitet für die Flüchtigkeit des Glücks?
Mehr für die Chance, die sich da vor Vera auftut und die sie festhalten, also nutzen will. Sie kniet ja auch im Schlamm, macht sich schmutzig dafür … Das ist für mich der Unterschied zum Glück: Glück kann man auch einfach so mal haben, ohne etwas dafür zu tun. Eine Chance muss man aber erst mal erkennen und Ideen haben, was man damit anstellen könnte.
Bei Vera ist keines davon das Problem. Das Problem ist sie selbst. Sie setzt sich nicht mit ihren Schwächen auseinander. Das ist schon eine Schwäche an sich. Denn, zum Festhalten des Aals, also der Chance, braucht man nicht nur das richtige Timing, man braucht die Kraft, die Ruhe, die Konzentration. Aber Vera steht sich oft selbst im Weg, zweifelt an sich, hat dann wieder Größenwahnfantasien. Es gibt viele Gefühle, die sie nicht spüren will, weil sie schmerzhaft oder schambesetzt sind und die sie mit Alkohol versucht in Schach zu halten. Ihre größte Angst ist ja auch, dass jemand denken könnte, sie hätte es zu nichts im Leben gebracht, also braucht sie dringend diese Pseudo-Kontrolle. Aber diese Art zu leben ist anstrengend und man kommt gefühlt nur sehr langsam vorwärts bzw. hat den Eindruck, dass man irgendwann ganz abgehängt ist. Daran leidet Vera. Daran leidet ganz Villrath.
Wie bist Du denn auf diese Geschichte gekommen?
Ich wollte gerne eine Geschichte schreiben, die in einer kleinen Stadt spielt, mit Figuren, die man, wären sie echte Menschen, leicht übersehen könnte, wenn sie einem auf der Straße oder im Supermarkt begegnen. Und dann wollte ich deren individuelle Fallhöhe unter dem Mikroskop anschauen und beschreiben. Ich komme selbst aus einer rheinischen Kleinstadt, zwar kein Kurort wie Villrath, aber ein paar Parallelen gibt es. Ich glaube, man schreibt einfach am besten über das, was man kennt.
Zweitens, ich wollte das Thema »Erfolg vs. Scheitern« behandeln.
Wie ich es in dem Roman verarbeite, hat schon zu Diskussionen in meinem Bekanntenkreis geführt. Da gab es Sympathie für die Figuren, aber auch Unverständnis. Dabei habe ich erneut gemerkt, dass es vom Standpunkt und den eigenen Werten abhängt, was man als Erfolg und was als Scheitern empfindet. Es ist grundsätzlich ein Gefühl und kann nicht objektiv gemessen, sondern nur erkundet werden. Deswegen schaue ich mir gerne Menschen und Situationen an, die auf den ersten Blick vielleicht nicht in die klassisch erfolgreiche Kategorie passen. Meine Figuren haben jedenfalls alle ein Ziel und verfolgen es auch. Über die Methoden, wie sie zum Ziel kommen, kann und soll man ruhig streiten.
Im Mikrokosmos des Stübchens bewegen sich sehr interessante Figuren. Es sind keine stromlinienförmigen Menschen, die immer auf der Erfolgsspur sind, sondern Menschen mit vielen Facetten. Was mir besonders gut gefällt ist, dass Du ihnen immer ihre Würde lässt, auch in Momenten, in denen sie zu scheitern drohen.
Danke. Das stimmt, ich habe versucht, ihnen ihre Würde zu lassen und hoffe, dass es mir gelungen ist. Es ist leicht, über jemanden zu lachen, der wie ein Käfer auf dem Rücken liegt und mit den Beinen zappelt. Das wollte ich nicht. Ich wollte bewusst Empathie wecken, diese aber auch an ihre Grenzen kommen lassen. Ich wollte damit an die Lesenden Fragen stellen: Wer genießt in unserer Gesellschaft Verständnis und Mitgefühl, wem gönnen wir es, und wem eher nicht? Warum?
Manchmal weiß man ja nicht, was man den Menschen in Villrath wünschen soll, den Dornröschenschlaf oder den Wirtschaftsboom durch die Wiederbelebung des Kurbetriebs. Hätte denn letzteres aus allen Beteiligten andere Menschen gemacht? Oder ist das vielleicht nur eine Illusion, der viele Menschen nachhängen?
Es hätte aus ihnen nicht die Menschen »von damals« gemacht und auch nicht die Verhältnisse »von damals« wieder etabliert. Es hätte nichts rückgängig gemacht, die Jahre zwischen dem Versiegen der Quelle und dem Wiederentdecken waren ja gelebt. Dieses Zweite-Chance-Motiv ist überhaupt eine Illusion. Es gibt dieses Sprichwort »Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen«, weil der Fluss sich in der Zwischenzeit verändert hat und man selbst auch. Das stimmt. Sicher hat jeder Moment seine eigenen Fragen und Antworten, aber wiederholen kann man eben nichts.
Deswegen ist der Roman ein Plädoyer dafür, dass man nicht in der Vergangenheit erstarren darf. Es gibt viele Menschen, die tragen so eine Urverletzung mit sich herum, von der sie sich ein ganzes Leben lang nicht erholen oder lösen können und die sie in jede ihrer Entscheidungen miteinbeziehen, bewusst oder unbewusst. Die Villrather Leute sind so. Besonders Vera. Sie kommt nicht darüber hinweg, dass etwas weg ist, von dem sie dachte, es steht ihr zu. Diese Kränkung, diesen Verlust hat sie nie verwunden und die Gegenwart ist für sie deshalb das »falsche Leben«. Aber bei dem Versuch, sich neu zu erfinden, wendet sie nur die alten Methoden an und jagt einer unerreichbaren Version von sich selbst nach.
Wie bist Du auf dieses überraschende Ende gekommen. Stand dieses Ende schon zu Beginn fest oder war es ein plötzlicher Einfall?
Wenn man die Spannung nach und nach aufbaut, muss man sie natürlich auch wieder lösen. Ich wollte von Beginn an, dass es mit einem Knall endet. Wie genau der aussehen könnte, habe ich im Laufe der Zeit entwickelt. Ich finde, das Ende muss zu den Figuren passen. Es muss vor allem aus ihnen heraus entstehen, indem sie selbst auf irgendeine Art einen Schlussstrich ziehen. Ich weiß nicht, ob es bei allen Romanen so ist, aber in meinem ist es so, dass das Ende freilegt, was die ganze Zeit unter der Oberfläche da war, was sich auch angekündigt hat und nicht mehr länger unterdrückt werden kann.
Erinnerst du dich noch an den Moment, als »Villrath« in Dein Leben trat?
Die Idee zu dem Stoff hatte ich schon etwas länger, das muss etwa 2014 gewesen sein. Insgesamt habe ich drei verschiedene Versionen geschrieben, die auch unterschiedliche Handlungsstränge und Enden haben. Die dritte ist die nun veröffentlichte. Zu »Villrath«: Ich wollte einen Ort erfinden, dessen Name möglichst authentisch nach Rheinland klingt. Dass es ein sprechender Name ist, ist mir selbst erst auf den zweiten Blick aufgefallen — diese Doppelbödigkeit passt aber natürlich sehr gut zum ganzen Roman.
Das Interview führte Olga Tsitiridou.