Olga unterwegs: Im Interview mit Rena Fischer
Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Rena Fischers Roman »Das Lied der Wölfe« ist nicht nur die hinreißende Geschichte über eine Liebe mit Hindernissen. Es ist auch eine Liebeserklärung an die wildromantischen schottischen Highlands. Im Interview gibt die Autorin einen Einblick in die Entstehungsgeschichte ihres Romans. Und sie weiß, was zu tun ist, wenn man einem Wolf begegnet.
Olga Tsitiridou (dtv): Dein Protagonist Nevis reflektiert an einer Stelle darüber, wie es wäre, wenn er einem Wolf begegnet. »Wölfe jagen mit Vorliebe in der Dämmerung. Würde er mich angreifen?«. Was würdest Du denn machen, wenn Du einem Wolf begegnest? Und hast Du nach diesem Roman Deine Angst vor Wölfen komplett abgelegt? Hattest Du überhaupt jemals Angst vor ihnen?
Rena Fischer: Ich hätte vor meiner Recherche schon ein mulmiges Gefühl gehabt, einem Wolf im Wald zu begegnen. Auch jetzt wäre ich natürlich vorsichtig. Ich würde nicht versuchen, ihn z.B. mit Hundeleckerlis anzulocken oder ihm nachzulaufen. Im ersten Fall würde er sich evtl. an Menschen gewöhnen und seine natürliche Scheu verlieren. Er würde sich näher an Dörfer oder Städte und an Menschen herantrauen und das könnte fatale Folgen für ihn haben. Wölfe, die beständig in den Siedlungsbereich von Menschen eindringen, könnten als gefährlich eingestuft und im schlimmsten Fall zum Erschießen freigegeben werden. Im zweiten Fall könnte er sich von mir bedroht fühlen und angreifen. Wolfsexperten empfehlen, dass man aufrecht stehenbleiben und sich durch das Schwenken von Armen über dem Kopf größer machen soll. Außerdem soll man laut rufen, um ihn zu vertreiben. Dasselbe gilt übrigens auch für Bären.
Also, ich bin mir nicht ganz sicher, ob mir die Empfehlungen der Wolfsexperten so schnell einfallen würden, wenn der Wolf plötzlich vor mir steht, ich meine so von Angesicht zu Angesicht. Aber gut zu wissen. Wie kamst Du denn auf die Idee zu Deinem Roman »Lied der Wölfe« und warum Schottland als Schauplatz?
Erst einmal stand der Schauplatz nach meiner Reise nach Schottland fest. Ich war einfach so überwältigt von der atemberaubend schönen Landschaft, dem quirligen Leben in Edinburgh und der Gastfreundschaft der Schotten, dass ich unbedingt meinen nächsten Roman dort spielen lassen wollte. Zufällig fiel mir dann ein Magazin mit einem Artikel von Peter Wohlleben in die Hände, in dem er davon berichtete, wie wilde Wölfe den Wald verändern. »Wo der Wolf geht, wächst der Wald« lautet ein russisches Sprichwort. Es hat mich beeindruckt, wie Wölfe Einfluss auf das Wachstum der Vegetation von Bäumen bis hin zu Walderdbeeren und sogar auf den Lauf von Flüssen nehmen können. Es ist eben doch ein Unterschied, ob das Wild durch einen menschlichen oder einen tierischen Jäger gejagt wird. Ich habe mich dann erkundigt, ob es in Schottland – wie bei uns – auch wilde Wölfe gibt und stieß auf den schottischen Millionär Paul Lister. Er macht sich als Naturschützer seit vielen Jahren in Schottland für die Rückkehr der Wölfe und Bären stark und hat mich in seinem Bestreben zu meiner Romanfigur Alistair MacKinley inspiriert. So sind die ersten Ideen zum »Lied der Wölfe« entstanden.
Weiß denn Paul Lister davon, dass er als Vorlage für Deinen Roman diente?
Nein, Paul Lister hat keine Ahnung, dass er mich zum »Lied der Wölfe« inspiriert hat. Denn mit den zwei Punkten »wohlhabender Geschäftsmann« und »Förderung der Rückkehr der Wölfe nach Schottland« enden auch schon die Gemeinsamkeiten mit meinem Alistair MacKinley.
Du hast mit Nevis einen Romanhelden mit einer schweren Vergangenheit geschaffen, der aber gerade wegen seiner Verletztheit und Widersprüchlichkeit für Kaya attraktiv ist. Und natürlich werden Kaya und er, wie könnte es anders sein, ein Paar. Nevis ist Ex-Soldat und ist schwer traumatisiert durch seine Kriegserlebnisse in Afghanistan. Wie bist Du denn auf diese besondere Thematik gekommen?
Als ich mich näher mit den Wölfen befasst habe, stieß ich auch auf Untersuchungen, wie Wölfe sich von Hunden unterscheiden und bei Letzteren kamen Therapiehunde und das Thema PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) zur Sprache. Viele meiner Ideen ergeben sich im Vorfeld erst durch die Recherche. Deshalb stecke ich immer einige Monate vorab in die Recherche, bevor ich den ersten Satz schreibe. Nur so kann ich die Figuren, ihr Handeln, ihre Beweggründe authentisch zeichnen. So war es auch hier. Es gibt ausgebildete Hunde, die Menschen mit PTBS helfen können, ruhiger im Alltag zu werden. Sie wirken ausgleichend und können den Therapieerfolg unterstützen. So kam die Idee auf, Nevis als Ex-Soldaten zu schildern, der unter PTBS leidet, und gleichzeitig entwickelte ich hier auch die Hintergrundgeschichte, die Alistair zu seiner Förderung der Rückkehr der Wölfe motiviert hat.
Dass Nevis der Sohn eines Milliardärs ist, ist tatsächlich nur dem realen Vorbild Paul Listers geschuldet. Keinesfalls hätte ich eine Geschichte »Armes Mädchen verliebt sich in reichen feierwütigen Milliardärssohn« erzählen wollen. Auch diese Geschichten können natürlich in einem Aufeinandertreffen von sozialen Unterschieden und Spannungen fantastisch erzählt sein, aber mich hätte dieses Thema nicht so sehr gereizt, wie die Verletzlichkeit und die Bündel der Vergangenheit, die meine Figuren mitschleppen. Zu meiner naturverbundenen Kaya hätte das Partygirl auch nicht gepasst. Daher war es für mich auch sehr wichtig, von Anfang an zu zeigen, dass Kaya weder an Nevis’ Sportwagen noch an seinem möglichen Erbe interessiert ist.
Deine naturverbundene Kaya ist ja auch viel cooler als ein Partygirl im Sportwagen. Wie hast Du diese Figur entwickelt? Gibt es denn für sie auch ein reales Vorbild? Und könnte sie vielleicht für alle junge Frauen stehen, die die Welt ein Stück weit schöner und besser machen wollen?
Das sind zwei spannende Fragen! Für Kaya gibt es kein reales Vorbild. Ich habe mich hier von verschiedenen Erfahrungsberichten von Wolfsforschern inspirieren lassen. Auf jeden Fall sehe ich in ihr eine junge Frau, die ein Stück dazu beitragen möchte, unsere Welt schöner und besser werden zu lassen. Eine intakte Natur gehört für sie auf jeden Fall dazu. Wildhüter in Schottland schießen z.B. oft die natürlichen Fressfeinde von Schneehühnern, damit sich diese unkontrolliert vermehren, nur um dann als Beute für menschliche Jäger zur Jagdsaison zu dienen. Mit den Jagdlizenzen und dem Jagdtourismus wird viel Geld verdient. Das sind Dinge, die Kaya niemals befürworten würde. Hier bricht sie mit schottischen Traditionen. Sie ist mutig und engagiert, sagt offen ihre Meinung, ohne sie jemanden aufdrängen zu wollen. Lieber versucht sie, durch Ehrlichkeit und mit schlagkräftigen Argumenten zu überzeugen.
Tragische Familiengeheimnisse, faszinierende Naturbeschreibungen, humorvoll-romantische Nebenhandlungen, jede Menge interessanter Figuren und natürlich große Emotionen: Dein Roman ist in keinem Moment langweilig. Was inspiriert Dich? Was treibt Dich beim Schreiben an?
Ich bin als Leserin selbst ein Fan von Spannung und Cliffhangern am Kapitelende. Ein gutes Buch muss für mich zwei Dinge erfüllen: Mich dazu bringen, die Nacht durchlesen zu wollen und hinterher die Gedanken in meinem Kopf Achterbahnfahren zu lassen. Ich schreibe gerne darüber, was das Leben und unsere Erfahrungen aus uns machen. Ich frage meine Figuren nicht: Womit verdienst du dein Geld? Mich interessiert das, was sie am meisten bewegt, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume. Wenn Beruf und Berufung zusammentreffen, wie bei Kaya, ist das natürlich ein Glücksfall. »Es sind nur Liebe und Tod, die die Dinge ändern«, sagte Khalil Gibran. Auch darüber schreibe ich. Am meisten inspirieren mich dabei immer die Recherchen. Mit der Idee allein ist noch kein Buch geschrieben. Schon oft habe ich Ideen wieder verworfen, weil mich das Thema dann beim näheren Nachforschen doch nicht mehr packen konnte. Es reizt mich, selbst etwas dazu zu lernen, neue Welten zu erkunden, fremde Berufe, andere Lebensweisen oder faszinierende Orte.
Und natürlich ist es auch das positive Feedback meiner Leser*innen, das mein Herz berührt und mich zu neuen Geschichten motiviert.
Um wieder auf Schottland zurückzukommen, ich habe noch eine dringende Frage: Glaubst Du an Nessi?
Ich denke, dass Nessi tatsächlich ein besonders großer Aal ist bzw. war, der in den Tiefen des Sees lebt oder einst lebte. Darauf deuten aktuelle genetische Wasseranalysen eines neuseeländischen Forschers hin. An ein reptilartiges prähistorisches Monster glaube ich nicht. Wohl aber daran, dass so mancher, der von dem guten schottischen Whiskey in einem der Pubs am Loch Ness zu viel gekostet hat, alles Mögliche in dem See zu erkennen glaubt und daraus Geschichten spinnt.
Apropos Geschichten. Darf ich fragen, woran Du grade arbeitest? Natürlich musst Du nichts verraten, aber es interessiert nicht nur mich, sondern auch Deine Leserinnen und Leser.
Aktuell arbeite ich an einem neuen Roman, der nächstes Jahr im dtv-Verlag erscheinen wird. Das Setting wird diesmal Südspanien sein. Eingebettet in das malerische Flair Andalusiens, wo Orient und Okzident so märchenhaft aufeinandertreffen, erwarten euch die spannende Welt der Archäologie, ein geheimnisvoller Goldschatz, kriminelle Machenschaften und mafiöse Verstrickungen, und eine toughe junge Frau in einem männerdominierten Gewerbe, die zwischen zwei attraktiven Männern steht und sich entscheiden muss: Zwischen Passion und Gewinnstreben, zwischen Wahrheit und Lüge.
Ich liebe die Spannungen zwischen meinen Figuren und die Wortduelle, die daraus entstehen, stecke mitten in der Recherche und in den ersten Kapiteln – die Hitze aktuell hier in München passt geradezu perfekt zum Setting.
Das hört sich toll an, liebe Rena. Ich wünsche Dir viel Inspiration! Und danke Dir sehr, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast.
Auch ich möchte mich ganz herzlich für dieses schöne Interview bedanken und wünsche all meinen Leser*innen viele spannende und romantische Stunden mit dem »Lied der Wölfe«!
Das Interview führte Olga Tsitiridou.