Georg Ringsgwandl im Interview über seinen Roman ›Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris‹
Georg Ringsgwandl hat einen hinreißenden Roman über seine ehemalige Tourbegleiterin Doris geschrieben, wild und nachdenklich zugleich – und genialisch wie er selbst. Im Interview spricht er über das, was Doris so besonders macht, und über die Charaktere in seinem Buch, die »mit wechselndem Glück einen Traum verfolgen«.
Olga Tsitiridou (dtv): Doris muss sehr früh Verantwortung übernehmen - selbst für das Leben ihrer Mutter. Wem verdankt sie dieses Selbstbewusstsein, diese Widerstandskraft? Der ›Rocky Horror Picture Show‹, der Gartenhütte mit dem Modergeruch? Hätten Stuck und Parkett eine andere Doris hervorgebracht?
Georg Ringsgwandl: Schwer zu sagen. Vielleicht hat sie in den guten Kinderjahren einen robusten Grundstock mitbekommen und später die Möglichkeiten genutzt, die ihr freundliche Leute anboten. Mit dem Babysitten verdiente sie sich ihr Taschengeld und lernte bessere Lebensumstände kennen als das elende Geschlinger mit ihrer verpeilten Mutter.
Die Mischung aus Selbstbewusstsein und Verletzlichkeit macht Doris so besonders. Ist es das, was auch Sie an ihr fasziniert?
Ja. Um im rauhen Tourgeschäft zu überleben, brauchte sie eine Art Rüstung zum Schutz ihres Innenlebens.
»An Sommertagen im Gebirge war unser Holzhäuschen eine Gartenlaube im Paradies.« Doris hat die Fähigkeit, das Schöne zu erkennen, wo andere nur den Mangel sehen, das Grau. Warum kann sie das so gut?
Keine Ahnung. Ich glaube, diese Fähigkeit hat sie irgendwann in der Kindheit aufgesammelt. Es ist auch etwas, das die Mutter auszeichnet, eine gute Seite ihres Hippietums.
Es gibt wunderbar poetische Bilder in Ihrem Roman, zum Beispiel, als Doris über ihren Freund Gidi sagt: »Er lebt von Sonnwend zu Sonnwend …« Und es gibt Figuren, die herrlich überdreht und kraftvoll sind und eine eigene Lebensphilosophie haben. Das erinnert mich an Oskar Maria Graf. Solche Charaktere, ist das etwas eigenständig Bayerisches?
In Bayern gibt oder gab es solche Figuren öfter. Man findet sie aber auch in allen anderen Kulturen, die noch nicht komplett vom internationalen Geschäftswesen verschlungen worden sind.
Doris hat einen schrecklichen Vater, der emotionsloser nicht sein könnte. Ist Georg für Doris nicht nur der Bandleader, sondern auch eine Art Vaterfigur?
Diese Gefahr bestand hin und wieder. Sie hat aber rechtzeitig erkannt, dass Georg bei aller ordentlichen Arbeitsamkeit reichlich unberechenbar und verrückt sein kann.
»Die vom Wind getriebenen Regenwasserschlieren an den Panoramascheiben.« Doris zieht daraus eine Parallele zum menschlichen Leben. Sie führt das nicht näher aus. Was meint sie damit?
Vermutlich meint sie damit, dass wir den Verlauf unseres Lebens nicht so im Griff haben, wie wir uns das gerne einreden.
Bei allen witzigen Anekdoten zieht sich doch auch eine Grundmelancholie durch den Roman. War das so angelegt, oder ist das der Lebensweisheit ihrer Figuren geschuldet?
Ich glaube, das liegt am Leben der Figuren. Es sind keine strahlenden Muster- und Erfolgscharaktere, die hier geschildert werden. Es sind Menschen, die mit wechselndem Glück einen Traum verfolgen.
Sind die Figuren in Ihrem Roman auch ein Beispiel dafür, dass ein wohlgeordnetes Leben nicht zwangsweise zu großer Lebenserfahrung führen muss? In den schwierigsten Situationen werden sie wunderbar philosophisch.
Man kann philosophische Gedanken jahrelang für Quatsch halten, aber wenn es kritisch wird, kommt man ihnen nicht mehr aus.
Warum wird denn Doris Bauingenieurin? Ist das am Ende doch der Wunsch nach geregelten Verhältnissen?
Sagt sie nicht an einer Stelle, dass das Vereinen von gedeihlichem Familienleben und Rock ’n’ Roll in etwa so schwierig ist wie die Quadratur des Kreises?
Sie haben einmal gesagt: »Humor sei die einzige Art, mit den unabänderlichen Grausamkeiten des Lebens zurechtzukommen.« Der Satz könnte auch von Doris stammen, nicht?
Ja, aber der Gedanke ist schon wesentlich älter. Polt hat ihn von Valentin, die Coen-Brüder von Woody Allen, der von Charlie Chaplin und der von gewitzten Köpfen aus früheren Jahrhunderten. Woran man sieht, wie zutreffend er ist.
Interview: Olga Tsitiridou (dtv), August 2023
Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für das dtv Magazin stellt Olga regelmäßig ihre persönlichen Lese-Highlight aus dem aktuellen Programm vor, lässt aber auch immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt.