Olga unterwegs: Das veränderte Leben der Kulturschaffenden

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Diesmal hat sie den beruflichen Theatermensch und leidenschaftlichen Leser Matthias Riedel-Rüppel zum Interview getroffen und ihn gefragt, wie Kulturschaffende mit schwierigen Situationen umgehen – und natürlich wollte sie wissen, was und wie er liest.

Und so ein bisschen ›John‹ zu sein, täte uns jetzt allen gut.


»Ich lebe in den Büchern, die ich lese«, sagt Matthias Riedel-Rüppel. Er ist Intendant des Kleinen Theaters Haar und Leiter der Kultur und Öffentlichkeitsarbeit bei kbo-Sozialpsychiatrisches Zentrum.

Olga Tsitiridou (dtv): Wie fühlt es sich an, wenn Sie in Ihrem leeren Theater stehen und nicht wissen, wann es sich wieder mit Leben füllt?

Matthias Riedel-Rüppel: Ein leeres Theater ist für mich vergleichbar mit einem Buch ohne Seiten. Es macht schlicht keinen Sinn und es macht traurig. Ein Theater lebt von Proben und Vorstellungen, wenn diese Dinge fehlen ist das Gebäude nur noch eine leere Hülle. Wir haben im Kleinen Theater Haar noch das Glück, dass das Haus für Seminare und Sitzungen genutzt wird. Aber das sind eigentlich nicht die Geräusche, die ich aus den Räumen hören möchte. Das Schlimmste ist die Perspektivlosigkeit! – Wir wissen ja nicht, wann und in welcher Form das Theaterleben wieder möglich sein wird. Das schmerzt schon und macht eine gute Planung, die es ja nicht nur für den Raum braucht, sondern auch für die Dienstplanung der Mitarbeitenden, unmöglich. Optimisten hoffen, dass es bereits Ende Januar weitergeht, Pessimisten tippen darauf, dass auch der März noch still sein wird. Ich pendle, je nach Tagesform, zwischen beiden Fraktionen. Dennoch versuchen mein Team und ich Perspektiven zu schaffen, für Künstler*innen, Techniker*innen, unsere Gäste und irgendwie auch für uns selbst! Wir streamen jetzt einige Veranstaltungen aus dem Theater. Das ist zwar kein Ersatz für das Live-Erlebnis und es ist auch sehr aufwendig und anstrengend, aber es ist eine Möglichkeit für alle im Gespräch und Bewusstsein zu bleiben. Das macht eine solche Übertragung dann doch sinnvoll und wir setzen dabei auch auf Qualität.

Wie kommen die Künstler mit dieser Ausnahmesituation zurecht?

Mein Eindruck war, dass die Künstler*innen den ersten Lockdown im März noch sehr gelassen hingenommen und akzeptiert haben. Die Kreativen sind es ja gewohnt, dass es einmal besser und einmal schlechter läuft. Dazu kommt, dass dieser Beruf ja mehr Komponenten hat, als nur den reinen Gelderwerb. Das ist der angenehme Nebeneffekt. Aber ein Bühnenmensch braucht die Bühne, wahrscheinlich mehr als das Geld. Die Gelassenheit schwand ein bisschen, als klar wurde, dass viele Veranstalter auch den Sommer und Herbst nicht wirklich spielen würden, da die Rahmenbedingungen, gerade für private Anbieter, schwierig finanziell darzustellen sind. Der zweite Lockdown machte die Krise dann komplett. Alle sprechen von »Novemberhilfen«, aber viele Kreative haben seit März nicht mehr richtig arbeiten können. Jetzt wird es wirklich mehr als eng! Ich höre das alles mit großer Besorgnis, versuche zu unterstützen, wo es nur geht, setze mich für die Belange ein. Ich bin im öffentlichen Dienst beschäftigt, mir kann keiner vorwerfen, dass ich persönlichen Profit aus der Situation schlagen möchte. Wobei die Wörter »Profit« und »Kultur« im kaufmännischen Sinne ohnehin schlecht in einen Satz passen.

Kann man aus diesem Ausnahmezustand etwas lernen?

Ich denke, dass man sich in solchen Momenten auf die Suche nach dem Sinn machen muss. Ich kann mir jetzt den ganzen Tag Gedanken darüber machen, was alles nicht geht. Bringt mich das weiter? – Eher nicht. Kreativität sollte in einem Lockdown nicht aufhören. Ich versuche darüber nachzudenken, welche Optionen die Krise mit sich bringt. Die Digitalisierung ist sicherlich eines dieser Themen, mit denen ich mich 2020 sonst nicht beschäftigt hätte. Auch die Planung eines neuen Programms, die Wiederholung unseres Sommer Open-Airs in 2021 usw. bilden ja Perspektiven, die für uns alle wichtig sind! Aufgeben ist an dieser Stelle für mich keine Option!

Sie lieben Bücher! Wann begannen Sie mit dem Lesen und welche Rolle spielten Ihre Eltern dabei?

Mit dem Lesen und mir war es nicht gleich »Liebe auf den ersten Blick«. Ich sage bewusst »Lesen« und nicht »Bücher«, weil ich Bücher immer gern hatte. Und zum Glück haben meine Eltern das auch immer sehr unterstützt, sowohl sie, als auch meine ältere Schwester sind Bücher-Fans; bei meiner Schwester war es so schlimm, dass sie im Familienurlaub mehr Bücher als Unterhosen dabei hatte. Ich habe zunächst nur gerne vorgelesen bekommen, auch zu der Zeit, als ich schon selbst lesen konnte.

Welches war eines Ihrer ersten Bücher?

Eines der ersten Bücher, die ich selbst gelesen habe, war ›Eine Hand voll Hund‹ von Joanna Cole. Es folgten Klassiker wie ›Pippi Langstrumpf‹, die Reihe Pitje Puck (ein Briefträger, Reihe von Henri Arnoldus) und vieles mehr in diese Richtung.

Welche Bedeutung hat denn das Lesen für Sie?

Lesen ist für mich gleichbedeutend mit Entspannung. Ich lese schrecklich gerne und ich lebe in den Büchern, die ich lese. Deshalb kann ich aber auch nicht hier einmal ein paar Seiten lesen und dann da ein paar Seiten. Ein Buch in der S-Bahn zu lesen, käme für mich nicht in Frage. Ich müsste es ja an meiner Haltestelle aus der Hand legen. Das wäre schlimm. Ich steige in die Geschichten ein, entferne mich aus dem Hier und Jetzt und brauche Zeit. Bücher lese ich deshalb nur im Urlaub, dann aber sehr ausgiebig. Und ja, meine Bücher sind noch aus Papier. Davon abgesehen besteht ja ein Großteil meines beruflichen Lebens aus Schrift, Wort und Klang… das begleitet mich täglich.

Zum Lesen braucht man Freiraum, nicht wahr?

Ja, unbedingt! Das ist für mich gut vergleichbar mit Theater oder Konzert. Ich brauche die Zeit, um mich auf eine Veranstaltung oder ein Buch einzulassen. Ich brauche Strecke, weil mir meine Phantasie in dieser Zeit einen eigenen Film zeigt, den ich zumindest selbst anhalten und nicht unterbrechen lassen möchte. Das macht das alltägliche Lesen schwierig, weil die zeitlichen Fenster sehr kurz sind. Die Abende sind bei mir sehr, sehr häufig mit kulturellen Veranstaltungen belegt. Deshalb ist Urlaubszeit für mich gleichbedeutend mit Lesezeit.

Was lesen Sie gerne und wie muss ein Buch sein, damit sie es nicht so schnell aus der Hand legen?

Das, was ich lese, ist sehr unterschiedlich, ich bin da nicht festgelegt. Es muss sprachlich schön sein (häufig muss man natürlich sagen: die Übersetzung muss gut sein). Es braucht ein*e Protagonist*in, mit der ich mich in Romanen identifizieren kann. Gerne lese ich aber auch Biografien und Geschichtliches. Ich lese auch Fachliteratur, aber das ist dann wieder ein anderes Lesen. Ich habe mit drei eher geisteswissenschaftlichen Fächern Abitur gemacht (Musik, Geschichte, Deutsch). Alle Themen waren also eng mit Literatur verbunden.

Und welches Buch passt für Sie in diese verworrene Zeit?

Ein Buch, das glaube ich ganz gut in die Zeit passt, ist ›Das Café am Rande der Welt‹ von John Strelecky. Die Suche nach dem Sinn des Lebens stellt sich doch gerade in der Krise einmal mehr. Und so ein bisschen „John“ zu sein, täte uns jetzt doch allen gut.

Das Interview führte Olga Tsitiridou.