Olga unterwegs: Im Interview mit dem Buchhändler und Politiker Franz Klug

Betritt man unser Verlagsgebäude ist Olga Tsitiridous Gesicht das Erste, das einem vom Empfang entgegenstrahlt. Für uns lässt Olga aber immer wieder ihren Schreibtisch zurück und macht sich auf die Suche nach neuen, spannenden Stories über alles, was ein Bücherherz bewegt. Diesmal hat sie den Buchhändler und Politiker Franz Klug zum Interview getroffen und sich mit ihm über Mascha Kaléko, Bücherverbrennungen und Tipps unterhalten, wie man sich am besten von der Tragik der Welt ablenkt.

Ein gutes Buch rettet über trübe Tage hinweg …


Ein Interview mit Franz Klug, Buchliebhaber und Buchhändler in der Buchhandlung Lentner, gebürtig aus Graz, studierte und lebte als Buchhändler und Politiker in Innsbruck, seit 20 Jahren in München und jetzt wieder in der Kommunalpolitik tätig.

Olga Tsitiridou (dtv): Können uns Literatur und Poesie über einen trüben Tag hinwegretten?

Franz Klug:  Natürlich, ein gutes Buch rettet trübe Tage und verfeinert auch die Sonnentage. Bei den Romanen und Erzählungen eignet sich immer gut Thomas Bernhard und – zur Stimmungsaufhellung – der leider viel zu schnell in Vergessenheit geratene Heimito von Doderer›Die Wasserfälle von Slunj‹ – das ist ganz großes Kino und immer zu empfehlen für die, die noch nichts von Doderer gelesen haben. Bei melancholischen Stimmungen empfehle ich nachdenkliche Gedichte, z.B. von Gottfried Benn oder die lyrische Hausapotheke von Erich Kästner, die immer ein Gewinn ist. Wer ist für Dich der Favorit bei trüben Tagen?

Ich liebe Mascha Kaléko sehr: »Zerreiß Deine Pläne. Sei klug und halte Dich an Wunder.« Diese Zeilen sind so wunderbar und ich mag es, dass bei ihr das Traurige und das Heitere so nah beieinander liegen.

Das stimmt. Für mich ist Mascha Kaléko eine Tänzerin mit Wörtern. Sie kennt alle Tanzarten: vom traurigen Blues bis zum fröhlichen Walzer.

Lesen ist der beste Weg, um dem Chaos der Welt zu entrinnen, nicht wahr?

Da muss man im Hölderlin-Jahr sofort mit Hölderlin antworten: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ und natürlich in Abwandlung von Hölderlins Aufruf: „Komm ins Offene, Freund“, auffordern: „Komm zu den Büchern.“ Nimm und lies. Natürlich können Bücher nicht vor ganz großen Katastrophen retten, die als unerwartete Ereignisse über uns, über bekannte und unbekannte Menschen hereinbrechen. Aber man kann sich immer in den Kunstraum zurückziehen: ein gutes Buch lesen, einen guten Film, ein begeisterndes Theaterstück anschauen. Man kann sich im Museum dem Bildgenuss hingeben – wobei für mich in München einer der schönsten Kunsträume zum Abschalten und Genießen der Lepanto Raum im Museum Brandhorst ist. Cy Twomblys mehrteiliges Meisterwerk, die Betrachtung der Schlacht von Lepanto, ist für mich persönlich immer sehr beglückend. Und wir können uns mit dem Satz von Arno Schmidt trösten: „… die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nightmare.“

Wie viele Erlebnisse hattest Du in Deiner Buchhandlung in der Art: Der Kunde betritt den Laden eher in bedrückter oder suchender Stimmung und verlässt ihn beglückt mit einem strahlenden Lächeln.

Generell haben wir viele Kunden, die schon wissen, was sie wollen, sich dann aber doch freuen, wenn wir noch gute Bücher dazu empfehlen. Beim Wiederkommen bedanken sie sich für die guten Tipps. Dann gibt es immer wieder Kunden, die sich suchend durch den Laden bewegen und freuen, wenn man gute Vorschläge für sie hat. Erst gestern freute sich eine Dame über einen Roman, den sie bei uns fand, und stellte fest, dass sie ohne Bücher nicht leben kann.

Oh, das gefällt mir. Mit dieser Dame hätte ich mich gerne über das Buch als Rettung in der Not unterhalten.

Die Gespräche mit den Kundinnen und Kunden sind sehr beglückend, das muss man schon sagen. Und jedes Mal neu.

Man wünscht sich, dass ein Haus, das aus tausenden und abertausenden von Büchern besteht, unzerstörbar ist.

Ja, aber leider sind schon große und kleine Bibliotheken abgebrannt. Bücher verbrannten nicht nur in Alexandrien, sondern es gab leider auch Bücherverbrennungen, zum Beispiel in der NS-Zeit. Bibliotheken kann man aber wieder aufbauen und natürlich stimmt auch hier Hölderlins Satz: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Ein gutes Beispiel für das Bleibende in der Dichtkunst ist James Baldwin mit seinen feinen Roman über die Afroamerikaner in den 1960er Jahren in den USA. Vor allem sein großartiger Essay ›The fire next time‹ – ›Nach der Flut das Feuer‹ – schildert meisterhaft, wie uneingelöst das notwendige Zusammenleben von Schwarz und Weiß auf gemeinsamer Augenhöhe damals war. Die laufenden aktuellen Nachrichten aus den USA von Morden und Übergriffen an Afroamerikanern durch die Polizei zeigen schmerzhaft, wie gegenwärtig Baldwins Werk immer noch ist.

Wie wichtig sind für Dich Bücher, wie die von Baldwin, die aktuelle gesellschaftliche Themen aufgreifen?

Sehr wichtig. Für Israel spielt hier ja das Werk von Lizzie Doron eine herausragende Rolle. Ich empfehle aber immer auch Essays, Sachbücher und Biographien zu aktuellen Themen. Der wieder erstarkende Nationalismus wird schon bei George Orwell in seinem Buch ›Über Nationalismus‹, das ursprünglich bereits 1945 erschien, brillant kritisiert. Generell ist das Werk von Orwell immer noch sehr gut lesbar und eine subtile Warnung vor möglichen Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft.

Bücher sind für mich tragende Säulen der Menschheit. Trotzdem gibt es im digitalen Zeitalter immer die Unkenrufe, dass das Buch ein allmählich verschwindendes Produkt sei. Wie siehst Du das?

Ich bin zutiefst überzeugt, dass schöne, kluge, geistvolle, spannende und interessante Bücher die Entwicklung vom analogen ins digitale Zeitalter immer begleiten werden. Die Bücher sind doch der Boden, den wir gelegt haben, um Ideen, Träume, Wissen zu sammeln und zu verbreiten, und auch wenn wir dies alles in den Computer verlagern, so fehlt doch die Aura des Buches, die Haptik, der Geruch, das Gewicht der Welt, das fein spürbar nur in einem Buch auftauchen kann.

Das Interview führte Olga Tsitiridou.